Die Biodiversität ist eine wichtige Grundlage für stabile Ökosysteme und deren lebenswichtigen Dienstleistungen. Insbesondere die trockenen Sommer der vergangenen Jahre zeigten auf, wie gefährdet der Boden, die Insektenvielfalt, Bäume und die Nahrungs- und Futtermittelproduktion in unserer Region sind, um nur einige Beispiele zu nennen.
Zu unserem Online-Workshop hatten wir dazu Vertreter verschiedener regionaler Akteursgruppen eingeladen: Landwirte (ökologisch & konventionell), Lebensmittelhersteller, Startups, Wirtschaftsförderer (regional, Kultur-& Kreativ), sowie Wissenschaftler (Hochschulen, Universität, Forschungsinstitute), Vertreter aus der Verwaltung (Ämter für Landwirtschaft, Flurneuordnung und Forsten – ALFF, dem Ministerium für Umwelt, Landwirtschaft und Energie – MULE) und die Zivilgesellschaft (aus Landschaftspflege und Naturschutz, Entwicklungspolitik sowie Bildung).
Unsere Leitfrage ist: Was kann getan werden, um Biodiversität zu fördern und allen Interessensgruppen ein gutes Auskommen zu sichern? Ziel ist die Etablierung einer Workshopreihe, um praktikable Ansätze zur Steigerung der Biodiversität herauszuarbeiten und zur Umsetzung zu bringen.
Im Auftaktworkshop am 11. März 2021 ging es zunächst einmal um das gegenseitige Kennenlernen der Akteure, den Informationsaustausch sowie die Sammlung erster Ideen. Basierend auf einer wissenschaftlichen Studie des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung wurde im Impulsvortrag von Jenny Schmidt (CoKnow Consulting) aufgeführt, dass Schutzgebiete für den Erhalt der Biodiversität nicht ausreichen, es müsse ein Schutz in der breiten Fläche gewährleistet werden. Nur so könnten Arten erhalten werden, die an unsere Kulturlandschaft angepasst sind. Als Akteure, die insbesondere die Biodiversität beeinflussen, wurden auf regionaler Ebene Landwirte, das MULE, Landschaftspflegeverbände und die ALFFs benannt. Lokal relevant sind laut Studie neben den Landwirten und ALFFS auch Fachmedien, Flächeneigentümer und Gemeinden. Hinzu kämen die Öffentlichkeit, Naturschutzverbände und landwirtschaftliche Berater. Möglichkeiten zur Förderung der Biodiversität sieht sie im kooperativen Ansatz (holländisches Modell), in kulturellen und sozialen Aspekten sowie in praktikablen Maßnahmen.
Benjamin Wolf vom ökologisch wirtschaftenden Naturgut Etzdorf zeigte diverse biodiversitäts- und gleichzeitig landwirtschaftsfördernde Maßnahmen auf, von blühenden Zwischenfrüchten, Agroforst bis hin zur mobilen Hühnerhaltung. Der rechtliche Rahmen sei allerdings schwierig. Als Landwirt wünschten sie sich eine bessere Verfügungsgewalt über das eigene Handeln und die Auswahl der Anpflanzungen, bisher drohe sonst der Verlust des Ackerstatus und damit der Zugang zu den EU-Landwirtschafts-Subventionen.
Für Dr. Katrin Henning (MULE) sollten Ökosystemdienstleistungen nicht unterschätzt werden (bspw. Luftfilter, Bestäuberleistungen, etc.), auch wenn Ökosysteme ein Wert „an sich“ darstellten. Der Biodiversitätsverlust in Sachsen-Anhalt ist hoch, begründet durch Klimawandel, Intensivierung der Landwirtschaft, Düngemittel und Pestizideintrag sowie invasive Arten, wie Dr. Henning erläuterte. Besonders bedroht wären Vogelarten der Agrarlandschaft. Die Biodiversitätsstrategie des Landes richtet sich an alle Ministerien und Verwaltungsebenen. Sie enthält 214 Ziele, die mit Indikatoren unterlegt sind. Zur Umsetzung dient der Aktionsplan Biologische Vielfalt in Sachsen-Anhalt (seit 2013). Derzeit erfolgt eine Fortschreibung der Strategie mit Verbändebeteiligung.
Als Geschäftsführer der Stiftung Kulturlandschaft, gegründet vom Landesbauernverband und den Kreisbauernverbänden für den Erhalt der Kulturlandschaft, erläuterte Dr. Jens Birger verschiedene Projekte zur Biodiversitätsförderung: das Modellprojekt Kooperativer Naturschutz in der Landwirtschaft (holländisches Modell) sowie das Modellprojekt zur Verbesserung der Situation von Ackerwildkräutern in Sachsen-Anhalt. Die Stiftung sieht sich als Bindeglied zwischen Landwirtschaft und Naturschutzverbänden. Wünschen würde er sich:
- einfache, unbürokratische Agrarumwelt- und Klimamaßnahmen (AUKM),
- eine sichere Verankerung von Produktionsintegrierten Kompensationsmaßnahmen (PIK) in der Eingriffsregelung,
- die Anerkennung der Extensivierung von Flächen als PIK-Maßnahmen,
- früher Kontakt zu den Eingreifern, um rechtzeitig naturschutzfachlich sinnvolle Maßnahmen planen zu können
- eine institutionelle Sicherung
- eine Überarbeitung der Bewertung der Biotoptypen im Rahmen der Eingriffsregelung
- sowie der Forcierung der Verwendung bestehender Ökokonten.
Als wesentlicher Akteur bei landwirtschaftlichen Produkten wird in der öffentlichen Diskussion der Handel gesehen (siehe z.B. Demonstrationen von Landwirten vor Lidl). Es wurden mehrere regionale Handelsvertreter angefragt, die jedoch zu diesem Thema nicht aussagefähig waren und an die Zentralen verwiesen hatten. Wie Dr. Kühling von der IHK Halle-Dessau darlegte, gäbe es nichtsdestotrotz bereits eine Vielfalt von Initiativen in diesem Bereich: WWF-Partnerschaften, PANAO-Initative, Vermarktung regionaler Produkte, Nachhaltigkeitsberichte, etc.. Ebenso seien Alternativen zur Direktvermarktung entstanden (z.B. Solidarische Landwirtschaft, Crowdfarming), sowie nachhaltiger Einkauf durch Kantinen und Cateringanbieter (Klimateller-App, NearBuy, regionales Beispiel: Apfelpunkt GmbH), bis hin zur Förderung regionaler Lebensmittelkreisläufe (Bürgeraktien der Regionalwert AG, bspw. in Freiburg oder Berlin), Verbraucherinitiativen („Du bist hier der Chef“ e.V.) und neuen Lebensmittelherstellern mit Fokus auf Transparenz und Nachhaltigkeit (FollowFish bzw. FollowFood).
In der anschließenden Diskussion wurde die Ausweitung von Zertifikaten und Labeln für biodiversitätsfördernde Produkte recht schnell verworfen, auch wenn solch eine Information für den Verbraucher wünschenswert wäre und der Herstellungsprozess transparent gemacht werden müsste. Dies würde jedoch zu einem höheren Kostenaufwand führen, woran sich die Frage einer Beweislastumkehr anschloss. Das würde einen kompletten Systemwandel beinhalten und wurde kontrovers andiskutiert. Demgegenüber wird der Direktvermarktung eine große Bedeutung zugesprochen, allerdings wäre eine Professionalisierung notwendig. Hiermit könnte man gegenüber dem Verbraucher seine Bewirtschaftungsweise abseits teurer Zertifikate sichtbar machen.
Schließlich ging es darum, dass für den Schutz der Biodiversität Biolandwirtschaft und Naturschutzgebiete nicht ausreichten, auch Gemeindeflächen und nichtbewirtschaftete Flächen müssten inbegriffen sein sowie die Vernetzung von Ökosystemen. Es könne nicht nur auf Kosten ehrenamtlicher Akteure gehen, diese zu pflegen. Hier wäre ebenfalls eine Intensivierung und Vereinfachung der Förderung für die Pflege zur Biodiversitätssteigerung wünschenswert. Abschließend wurde für einen notwendigen Systemwandel argumentiert. Lebensmittelhersteller, Handel und Verbraucher sowie Gemeinden müssen in den Gestaltungsprozess einbezogen werden.
Fazit: Der Workshop war ein gelungener Auftakt mit Akteuren aus verschiedenen Bereichen, die ihr Fachwissen aus ihren jeweiligen Standpunkten heraus aktiv einbrachten. Vielfältige Faktoren, die für den Schutz und die Förderung der Biodiversität eine Rolle spielen, wurden aufgezeigt. Die Diskussion zeigte, wie hoch der Bedarf am Austausch zu verschiedenen Lösungsansätzen ist – und zwar zwischen den verschiedenen Akteursgruppen. Dieser Ansatz, Maßnahmen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und bewerten zu können und gemeinsam nach akzeptablen Lösungen zu suchen, soll in den nächsten Workshops fortgesetzt werden. Aufgeworfene Themen waren z.B.: Professionalisierung der Direktvermarktung, Transparenz in der Herstellung und Aufstellung von Biodiversitätskriterien, Biodiversitätsmaßnahmen und deren Finanzierung auf Gemeindeflächen und im urbanen Raum, Unterstützung der Landwirte für eine nachhaltige Landwirtschaft.
Ausblick: Im Juni sowie in der zweiten Jahreshälfte sollen weitere, dann themenspezifische Workshops organisiert werden. Wir laden Sie rechtzeitig dazu ein!